Machträume in der frühneuzeitlichen Stadt

Machträume in der frühneuzeitlichen Stadt

Organisatoren
Technische Universität Dresden, Sonderforschungsbereich 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit", Projekt S: "Institutionelle Ordnungsarrangements öffentlicher Räume in der Frühen Neuzeit"
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.12.2004 - 11.12.2004
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Von
Alexander Schlaak, Universität Konstanz

Vom 9. bis 11. Dezember 2004 fand an der Technischen Universität Dresden im Beratungsraum der Sächsischen Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden eine internationale Tagung zum Thema "Machträume in der frühneuzeitlichen Stadt" statt, in deren Rahmen Wissenschaftler verschiedener geistes- und sozialwissenschaftlicher Fachrichtungen der Frage nachgingen, wie sich Macht in vormodernen städtischen Gemeinwesen konstituierte und räumlich niederschlug. Eingeladen hatte das Projekt S "Institutionelle Ordnungsarrangements öffentlicher Räume in der Frühen Neuzeit" des Dresdner Sonderforschungsbereichs "Institutionalität und Geschichtlichkeit".

Nach Grußworten von Gerd Schwerhoff (Dresden) führten Susanne Rau (Dresden) und Christian Hochmuth (Dresden) gemeinsam in das Thema der Tagung ein und erläuterten die Struktur des Programms. Sie umrissen neben der in der Frühneuzeitforschung mittlerweile prominent gewordenen Kategorie des Raumes und ihrer Implikationen auch die ohne Zweifel gewichtige Bedeutung des Machtbegriffes. In der modernen Historiographie stehen sich allerdings mit Blick auf den Begriff der Macht immer noch traditionelle, weitgehend an Verfügung (über Macht) orientierte Konzepte und neuere Ansätze, die Macht in Anlehnung an Michel Foucault u. a. als "relationales Gebilde" auffassen, gegenüber. Der Versuch einer Zusammenführung dieser beiden unterschiedlichen Ansätze ist nach Ansicht der Organisatoren der Tagung wünschenswert. Im Zusammenhang mit einer solchen Zielsetzung und mit Bezug auf vormoderne Stadtgesellschaften formulierten Rau und Hochmuth einen Katalog von zentralen Fragestellungen, die den Diskussionsverlauf im Rahmen der Tagung leiten sollten. Neben der Frage nach zeitgenössischen Konzepten einer planerischen Durchdringung des Stadtraumes und den dahinterliegenden Ideen der Inszenierung von Macht im Raum wiesen sie auch auf Überlegungen zur Wirkung von Machträumen und zur Ortsgebundenheit von bestimmten Machtformen hin. Darüber hinaus stellten sie dezidiert die Frage nach transnationalen Phänomenen, was sich auch in der weit über den geographischen Raum des Alten Reiches hinausgehenden Ausrichtung der Tagung selbst widerspiegelt.

Karl-Siegbert Rehberg (Dresden) skizzierte Vorüberlegungen zu den im Kontext der Tagung zentralen Kategorien und Begrifflichkeiten aus soziologischer Perspektive. Dabei stand - mit Bezug auf die Ausrichtung des gesamten Dresdner Sonderforschungsbereichs - neben den Konzepten Macht und Raum auch der Institutionenbegriff im Mittelpunkt. Die "Rahmung von Gesellschaft" kann, so Rehberg, als das zentrale Charakteristikum von Institutionen angesehen werden. Räume erscheinen dabei als eine wichtige Ordnungskategorie; sie organisieren das "bereits Platzierte". In Anlehnung an Simmel können Räume aber nicht als objektive Entitäten aufgefasst werden. Sie werden immer wieder neu konstituiert und daher muss gerade ihre relative Dauer in den Blick genommen werden. Macht scheint dabei raumschaffend, gleichzeitig aber auch an Räume gebunden zu sein. Gerade die Bedeutung von Städten und anderen komplexen Formen der Vergesellschaftung muss in diesem Zusammenhang hervorgehoben werden, da sie sich als "Objektivierung einer gebauten Symbolwelt" präsentieren und auf diese Weise auf die dahinterliegenden Machtverhältnisse und ihre jeweiligen Ordnungsarrangements verweisen.

Die erste Sektion "Städte", geleitet von dem Architekturhistoriker Hans-Georg Lippert (Dresden), richtete ihre Aufmerksamkeit zum einen auf die planerische Gestaltung von vormodernen Stadtgesellschaften, und zum anderen auf die gegebenen Machtstrukturen im "Gesamtkorpus Stadt".

Barbara Uppenkamp (Reading) ging der Frage, wie sich politische Macht in räumlicher und speziell architektonischer Ausgestaltung objektivierte, anhand der frühneuzeitlichen Stadt Wolfenbüttel nach. Der Ausbau der Residenz Wolfenbüttel folgte einem Idealstadtgedanken, der sich weitestgehend an der aristotelisch ausgerichteten Politikwissenschaft der Universität Helmstedt orientierte. Nach dem Verständnis der Helmstedter Universität ist Politik eine architektonische Wissenschaft, mit der sich das gute Staatswesen errichten und stabilisieren lässt. Die Wolfenbütteler Planer versuchten, die Idee der Stadt als Objektivierung des Staates bautechnisch umzusetzen. Architektonischer Raum kristallisierte in Wolfenbüttel als Verkörperung eines frühneuzeitlichen Herrschaftsideals.

Catherine Denys (Lille) stellte mit Blick auf die französische Grenzstadt Lille im 18. Jahrhundert ein überaus interessantes Beispiel für die Verzahnung von frühneuzeitlicher Policey und architektonischer Stadtplanung dar. Trotz der Eroberung der Stadt durch Ludwig XIV. im Jahr 1667 blieb die lokale Herrschaftspraxis derjenigen der anderen niederländischen Städte ähnlich. Die policeylichen Maßnahmen der Liller Schöffen orientierten sich weiterhin am mittelalterlichen Konzept einer geschlossenen und somit vor äußeren Gefahren geschützten Stadt. Darüber hinaus blieb die Einteilung der Stadt in einzelne Policey-Reviere bestehen, um die Kontrolle des gesamten Stadtraumes effektiver gestalten zu können. Das Beispiel der Stadt Lille zeigt nach Ansicht von Denys, dass sich selbst in einem zentralisierten Staat wie Frankreich stadtplanerische Maßnahmen zumeist an konkreten Notwendigkeiten vor Ort ausrichteten bzw. die lokale Praxis meist wichtiger war als die (landesherrliche) Norm.

Einen ersten Blick über die Grenzen Europas hinweg bot Edouard Méténier (Damaskus/ Bonn) mit einer Darstellung der lokalen Machtstrukturen in der Provinz- und Grenzstadt Bagdad in der Zeit vor der "Rezentralisierung" bzw. stärkeren Eingliederung der Stadtgemeinde in das Osmanische Reich um 1831/32. Méténier betonte vor allen Dingen die Bedeutung der nachbarschaftlichen "Organisationsformen" im vormodernen Bagdad, die für ein Verständnis der örtlichen Machtverhältnisse unerlässlich seien. In einer Zeit, in der die einzelnen Städte und Provinzen des Osmanischen Reiches aufgrund des Fehlens einer starken Zentralverwaltung weitgehend autonom geblieben waren, mussten und konnten in Bagdad die einzelnen Haushalte, Viertel und Straßenzüge (haras, mahallas) und gerade die lang- und kurzfristigen "Allianzen" zwischen diesen Formen nachbarschaftlicher "Organisation" die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung vor Ort gewährleisten.

Die sogenannte Antinomian Controversy (1636-38) wurde von Bernd Herzogenrath (Köln/ Aachen) thematisiert. Ausgehend von Michel Foucaults Machtbegriff erörterte Herzogenrath diese erste schwere Krise der Massachusetts Bay Colony, in der allgemeine theologische, ökonomische und gesellschaftspolitische Fragen aufgeworfen wurden, als einen Konflikt, der sich in Rückgriff auf Michel Serres und Gilles Deleuze als das Aufeinanderprallen zweier "Physiken" interpretieren lässt. Den Ordnungsvorstellungen der orthodoxen, puritanischen Anhängerschaft John Winthrops (Festkörperphysik) stand mit der mit dem Namen Anne Hutchinson verbundenen antinomianischen Bewegung (Hydrodynamik/ Strömungslehre) eine auf Veränderung und Wachstum zielende allgemeine Vorstellung von Gesellschaft gegenüber.

Einen bemerkenswerten Einblick in die Kolonial- und damit auch Städtepolitik der spanischen Kolonialherren nach der Conquista lieferte Jochen Meissner (Leipzig/ Hamburg) am Beispiel des Aufstiegs der einstigen Aztekenhauptstadt Tenochtitlán (heute Mexiko City) zur spanischen Kolonialmetropole. Während sich lange Zeit die Vorstellung gehalten hatte, dass die europäischen Eroberungen auf dem amerikanischen Kontinent die jeweiligen autochthonen Strukturen weitgehend zerstört hätten, so ist in diesem Zusammenhang nach Ansicht von Meissner mit Blick auf Tenochtitlán eine Relativierung vorzunehmen. Unter anderem die ersten machtpolitischen Maßnahmen der Spanier wie aber auch langfristige Entwicklungen lassen es nicht zu, die These von einem radikalen Bruch nach der Conquista in allen Belangen aufrecht zu erhalten. Zu nennen wäre zunächst die bewusste Hauptstadtwahl der spanischen Eroberer. Trotz der immensen Zerstörungen, die Tenochtitlán während der Eroberung erlitten hatte, entschieden sich die Spanier für die alte Azetekenstadt als Zentrum der künftigen Provinzialverwaltung. Die Symbolwirkung der Stadt sollte den Anspruch der Kolonie auf den Status eines eigenen "Reino" (Königreich) mit eigenem (Vize-)König untermauern. Darüber hinaus lassen verschiedene Quellen die Vermutung zu, dass das häufig den Spaniern zugeschriebene "Schachbrettmuster" von Tenochtitlán/Mexiko City, welches sich in den Plan des Zentrums der Stadt bis heute eingeschrieben hat, wohl auf die Aztekenzeit zurückgeht und auf eine weitere Kontinuitätslinie verweist.

Den Abschluss des ersten Tagungstages markierte ein öffentlicher Abendvortrag von Rudolf Schlögl (Konstanz) zum "Raum als `Universalmedium´ in der frühneuzeitlichen Stadt". Schlögl verwies auf die Probleme, die sich ergeben, wenn man versucht, den aktuell in der Geschichtswissenschaft vorherrschenden kulturalistischen und erfahrungsorientierten Raumbegriff mit den bislang zumeist makrostrukturellen Vorstellungen von der politischen und sozialen Ordnung zu verknüpfen, die von der Stadtgeschichtsforschung bereitgestellt werden. Er schlägt deshalb vor, ein kommunikationstheoretisches Konzept vormoderner städtischer Politik- und Sozialordnung zu entfalten, das den Begriff des Raumes integriert. Räume erlauben die Formung von Kommunikation und sind daher als Medien zu gebrauchen. Besonders gelte dies, so Schlögl, für Formen der Anwesenheitskommunikation. Städtische Gemeinwesen der Vormoderne können als Anwesenheitsgesellschaften bezeichnet werden - d. h. als Formen der sozialen Vergesellschaftung, in denen Schrift und Druck eine nur subsidiäre Rolle spielten - und daher sei davon auszugehen, dass Räume als Kommunikation formendes Medium gerade hier eine wichtige Bedeutung erhielten. Ausgehend von diesen Überlegungen entwarf der Referent eine Typologie von Raumformen für die vormoderne Stadt: architektonisch markierte Räume, ephemere Räume, virtuelle Räume und komplexe Räume. Alle diese Raumformen sind der Kommunikation nicht vorgegeben, sondern müssen von ihr konstruiert werden.

Die von Horst Carl (Gießen) moderierte zweite Sektion mit dem Titel "Stadträume" thematisierte konkrete Ausformungen einzelner innerstädtischer Raumkonfigurationen wie auch die symbolische Markierung von Räumen in Konfliktsituationen in der Stadt und im städtischen Territorium.

Den Anfang machte André Krischer (Münster/ Köln) mit seinem Vortrag zum "städtischen Geleitrecht als Raumkonstrukt" am Beispiel von Köln und Frankfurt a.M. in der Frühen Neuzeit. Er unterstrich in anschaulicher Weise die Bedeutung des Geleitrechts als "performative Erzeugung" eines Hoheitsraumes in einer Zeit, in der "Grenzen setzen" weniger die klar sichtbare Abgrenzung eines Rechtsraumes mit "modernen" Mitteln (Schlagbäume, Stacheldrähte), sondern vielmehr die praktische Umsetzung von Herrschafts- und Rechtsansprüchen im rituellen Vollzug bedeutete. Genauso wie die Verfassung der vormodernen Stadt eine Verfassung in actu war, war auch die räumliche Ausdehnung des Stadtgebiets auf fortwährende Reproduktion - nicht zuletzt im Medium politischen Zeichengebrauchs - angewiesen. Insbesondere für Reichsstädte hatte das Geleitrecht eine zentrale Bedeutung. Einerseits war es ein Nachweis höchster Fürstenrechte in den Händen einer Stadt und andererseits waren es doch gerade diese Städte, die den "Raum", den sie als ihr Hoheitsgebiet betrachteten, ständig gegenüber wirtschaftlich und militärisch potenteren Territorien behaupten mussten.

Antje Staeckling (Münster) akzentuierte mit dem Ratswechsel in den Reichsstädten Goslar und Mühlhausen eine Form der performativen Sicherung von Herrschaftsrechten im Inneren der Stadt. Der Charakter der Ratswahl und -umsetzung offenbart sich als ein herrschaftsbestätigender Akt, der zudem die traditionellen genossenschaftlichen Wurzeln der frühneuzeitlichen Stadtgemeinden wiederholt ins Bewusstsein rief. Rathaus und Kirche stellten dabei die beiden wichtigsten Orte der Wahl dar und waren darüber hinaus speziell für diesen Zweck ausgestaltet. Gerade für Reichsstädte wie Goslar und Mühlhausen war nicht allein die verfassungsrechtliche, sondern gerade auch die "körperliche" Nähe zum Stadtoberhaupt von immenser Bedeutung. In diesem Zusammenhang wurde zum Beispiel in Goslar die Ratsstube als Zentrum der Ratswahl unter anderem durch Wanddarstellungen (mit Bezügen zum Stadtherren) symbolisch aufgeladen.

Mit der Universitätsstadt Helmstedt widmete sich Marian Füssel (Münster) einem besonderen Stadttypus. Gerade Universitätsstädte des Alten Reiches waren von ständigen Auseinandersetzungen um die Hegemonie innerhalb des sozialen Raumes bzw. von fortwährender konflikthafter "symbolischer Konstitution sozialer Ordnung" geprägt. Auch in Helmstedt kam es über die Frühe Neuzeit hinweg wiederholt zu Streitigkeiten zwischen Stadt(obrigkeit) und Universität. Insbesondere die Privilegierung der Universität durch den Landesherrn war ein ständiges Movens des Zanks. Im Zuge solcher Konflikte zeigt sich häufig ein komplexes Macht-Raum-Gefüge. Zumeist wurde von einer der beteiligten Parteien versucht, durch symbolische "Penetrierung" der feindlichen Räume bzw. des feindlichen Raumes (Bsp. Sitzordnungen) Ansprüche kenntlich zu machen. Dies kann als symbolischer Kampf gedeutet werden. Symbolische und rechtlich-soziale Konfliktlagen griffen also bei den Streitigkeiten zwischen der Stadt und der Universität Helmstedt ineinander. Räume wurden dabei in Konflikten angeeignet und dadurch erst konstituiert. Die Differenzierung der unterschiedlichen Akteure (Handwerker, Professoren etc.) zeigt schließlich, dass sich die vormoderne Stadt in eine Vielzahl von Räumen auflösen lässt, die in unterschiedlicher Weise angeeignet wurden. Ständische Machtverhältnisse stellen sich insofern weniger statisch dar, als es die normativen Modelle bislang in der Regel nahe legen.

Einen Versuch der Anwendung der von Martina Löw skizzierten Überlegungen zum Raumbegriff stellte der Beitrag "Strittiger Herrschaftsraum - Stettin 1662" von Maren Lorenz (Hamburg) dar. Anhand eines Fallbeispieles - eines physischen wie rhetorischen Machtkampfes um den Besitz von Getreidelieferungen zwischen Bürgermeister, Rat und einigen Bürgern Stettins einerseits sowie der schwedischen Garnisonsführung andererseits - untersuchte Lorenz, inwieweit die Konstituierung von Machträumen in der Stadt Stettin im Rahmen von Konfliktsituationen abhängig war von rechtlichen Aushandlungsverfahren wie auch von faktischer physischer "Raumnahme". Die Konstituierung von Raum im Konfliktverlauf offenbart sich dabei als ein - im Sinne der zentralen Löwschen Kategorien - Zusammenwirken von Spacing und Syntheseleistung; abhängig von den Ressourcen Herrschaftsrechte, wirtschaftliche Potenz (bzw. Besitz) und informelle Netzwerke. Inwieweit die konkrete Ausgestaltung des "Spacing" und der "Syntheseleistung" durch die Konfliktparteien mit einer Anwesenheitsgesellschaften immanenten kommunikativen Logik zusammenhängt, wäre in diesem Zusammenhang zu diskutieren.

Der Frage nach den Möglichkeiten und Ermöglichungen des Raumes in frühneuzeitlichen Stadtgesellschaften ging die dritte Sektion mit dem Titel "Stadt-Teile" unter der Leitung des Volkskundlers Johannes Moser (Dresden) nach. Dabei wurden unter anderem architektonisch, sozialtopographisch und rechtlich "abgegrenzte" Teile vormoderner städtischer Gemeinwesen in den Blick genommen und die Fragen nach der Konstituierung von Raum in diesen "Stadt-Teilen" sowie ihre Wechselwirkung mit dem "Gesamtkorpus Stadt" diskutiert.

Susanne Knackmuß (Berlin) beschrieb am Beispiel von Nürnberg Nonnenklöster als einen städtischen "Sonder(lebens-)raum". Im Zentrum der Darlegungen von Knackmuß stand dabei die Frage, ob Nonnenklöster in den Städten lediglich situiert und somit ausschließlich Frauenräume gewesen waren, oder ob mit ihnen nicht spezielle städtische Räume gekennzeichnet sind. Zwar waren, so Knackmuß, die Nürnberger Nonnenklöster durch die Mauer als einer sichtbaren Markierung vom restlichen Stadtraum abgegrenzt, doch sind in verschiedensten Bereichen Wechselwirkungen zwischen Stadt und Nonnenklöstern zu erkennen; nicht zuletzt schon deshalb, weil Städte mitunter dazu neigten, alles sich innerhalb der Mauer Befindliche auch gleichsam zu "inkorporieren". Zu nennen wäre zum einen die Blutsverwandtschaft zwischen Rat und Nonnen. Die im Rat sitzenden Geschlechter gaben meist auch hinter den Klostermauern den Ton an. Daneben wies Knackmuß auf die Beschränkungen der rechtlichen Befugnisse der Frauenklöster in Nürnberg hin. Der Nürnberger Rat konnte Privilegien erlangen, die ihm eine weitreichende Einflussnahme auf verschiedenste innerklösterliche Angelegenheiten erlaubten. Somit kann man von den Frauenklöstern in Nürnberg - mit Bezug auf räumliche Begrifflichkeiten - von einem physikalisch, jedoch wohl kaum von einem sozial und politisch abgegrenzten Raum in der Stadt sprechen.

Giancarlo Andenna (Brescia) nahm "Verbindungen politischer Macht und kirchlicher Institutionen im städtischen Raum" am Beispiel mittelalterlicher Städte der Lombardei in den Blick. Von der nachkarolingischen Zeit an war der Raum politischer Macht in diesen Städten zunächst noch an das aus Kathedrale und `domus episcopi´ bestehende bauliche Ensemble gebunden. Mit der Durchsetzung der kirchlichen Herrschaft in der ottonischen Zeit deutete sich mit der vielerorts zu beobachtenden Umwandlung des bischöflichen `domus´ in einen `palacium episcopi´ erstmals eine geographische Trennung von politischem und kirchlichem Machtraum an. Im 12. Jahrhundert kam es infolge der Anerkennung der administrativen Autonomie vieler lombardischer Städte nach den Kämpfen gegen Barbarossa mit dem Bau eines `palacium communis´ z. B. in Städten wie Mailand oder Bergamo zu einer Verstärkung dieser Entwicklung. Aber erst die Auseinandersetzungen zwischen Bischof und Kommune im 13. Jahrhundert führten in einigen Städten zur stärkeren Verweltlichung der politischen Macht und zur Schaffung eines eigenständigen politischen Machtraumes. In Städten, in denen dieser neue politische Raum keine geographische Distanz zur Kathedrale aufwies, wurden teilweise "kirchliche Strukturen" geopfert, um politische Machträume neu zu schaffen und auszubauen. Erste Ansätze einer generellen Ausdifferenzierung von Politik und Religion waren damit in die Wege geleitet worden.

Einen sozialtopographisch ausgerichteten Beitrag lieferte Andrea Thiele (Halle/ S.) am Beispiel der "Residenzstadt Halle unter August von Sachsen-Weißenfels (1614-1680)". Thiele akzentuierte anhand eines ausgewählten Fallbeispiels das einer Residenzstadt immanente Konfliktpotential zwischen Stadtbürgerschaft und der vor Ort durch den Fürsten und seine Verwaltungsbeamten repräsentierten "Staatsgewalt". Die "Trennung" von Stadtbürgerschaft und landesherrlicher Administration drückte sich aber nicht allein in Form von häufigen - zum Teil sogar physischen - Auseinandersetzungen aus, sondern auch in der Wohnstruktur der Stadt. Dabei weisen "unsichtbare Grenzen" auf einen gewissen Grad an Segregation hin.

Der Frage nach den Möglichkeiten der jüdischen Gemeinde in der Stadt Polack im 17. und 18. Jahrhundert, eigenen Raum zu erlangen und Machtbeziehungen zu knüpfen, widmete sich Stefan Rohdewald (Passau) in seinem Beitrag. Die Stadt Polack kann als eine multikonfessionelle Stadt im Übergangsgebiet zwischen "christlichem Westen" und "orthodoxem Osten" bezeichnet werden. Etwa 20 % der städtischen Einwohnerschaft waren jüdisch. Trotz einiger Versuche der christlichen Bevölkerung, die Juden aus dem Stadtgebiet zu verdrängen, konnte die jüdische Stadtbevölkerung ihre Position innerhalb des Stadtraumes festigen. Die Juden von Polack waren ungeachtet ihrer kulturellen und religiösen Überzeugungen in wichtigen rechtlichen Kontexten fest mit christlichen Gruppen und deren Raum verbunden. Sie konnten - so Rohdewald - in der Obhut des königlichen Stadtherrn und des Adels, aber auch in Kooperation mit der christlichen Gemeinde langfristig einen autonomen Bereich sicherstellen.

Die von Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) moderierte vierte Sektion "Stadt-Orte" fokussierte zum einen das Problem der Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit von Machträumen in der Stadt. Auf der anderen Seite wurde die Frage aufgeworfen, unter welchen Bedingungen Macht Distanz überwinden kann und muss, um vor Ort wirksam zu werden.

Rathäuser können in allen frühneuzeitlichen Städten als Orte angesehen werden, an denen sich Machtbeziehungen in ganz besonderer Weise verdichteten. Thomas Weller (Münster) machte dies am Beispiel des "Leipziger Rathaus als Bühne und Medium symbolischer Kommunikation" deutlich. Das Leipziger Rathaus fungierte nach Ansicht von Weller im Vollzug politischer Rituale immer zugleich auch als Bühne, die Machtrelationen - unter anderem über die Differenz sichtbar vs. unsichtbar - verdeutlichte. Exemplarisch zeigte dies Weller an den Beispielen der Ratswahl und der Erbhuldigung. Während sich der Leipziger Rat bei der Ratswahl als Obrigkeit präsentierte, übernahm im Rahmen des Huldigungszeremoniells der Landesherr diese Rolle. Anfangs fungierte der Leipziger Rat dabei noch selbstständig als Gastgeber der Feierlichkeiten, doch schon ab der Mitte des 17. Jahrhunderts erfuhr das Huldigungszeremoniell einen drastischen Wandel, der sich unter anderem in der Zusammenlegung des Huldigungsaktes von Leipzig mit anderen Städten (z. B. Grimma) ausdrückte. In diesem Rahmen kam es auch zu Konflikten um die Position der huldigenden Personen(gruppen) während des Zeremoniells. Am Beispiel solcher Auseinandersetzungen lässt sich, so Weller, besonders gut zeigen, welch enormen Stellenwert die Positionierung im zeremoniellen Raum für die Konstituierung sozialer Hierarchien und gesellschaftlicher Machtverhältnisse besaß.

Während zwar im mitteleuropäischen Bereich der Stadtherr - abgesehen von den Residenzstädten - die meiste Zeit über nicht direkt in der Stadt anwesend war, so kann doch konstatiert werden, dass zumeist keine allzu große räumliche Distanz zwischen Residenz und den einzelnen Stadtgemeinden existierte. Ganz anders stellt sich dies jedoch für das zaristische Russland des 17. Jahrhunderts dar. Christoph Witzenrath (Berlin) machte dies eindrücklich am Beispiel der "Einrichtung des Bischofsamtes und des Baus der Sophienkathedrale von Tobol`sk" fest. Der Zar in Moskau musste sich zur Durchsetzung seiner Pläne zur Einrichtung des Bischofsamtes und des Baus der Sophienkathedrale jenem Problem stellen, mit dem sich "Fernmacht" - nach Witzenrath Machtausübung unter Bedingungen der Abwesenheit - in der Frühen Neuzeit ständig auseinanderzusetzen hatte: dem Problem des Informationsmangels. Aufgrund des Informationsmangels wie aber auch aufgrund der Tatsache, dass Sibirien in der "Zeit der Wirren" (1610-1613) weitgehend von Moskau abgeschnitten gewesen war und sich dort eine lokale Oligarchie herausgebildet hatte, war der erste Bischof in großem Maße auf die Kollaboration mit den örtlichen Gruppen angewiesen. Seinen diplomatischen Fähigkeiten ist es zuzuschreiben, dass der Sprengel bald eine anerkannte Institution wurde. Zudem passte er das Projekt der geplanten Kathedrale mit der Namensgebung "Sophienkathedrale" an die örtlichen Gegebenheiten an. Die Figur der Mittlerin und Fürbitterin Sophia bot sich als Symbol zarischer Fernmacht an, um im Kreis der verschiedenen ethnischen Gruppen vor Ort einen gewissen Grad an Zusammenarbeit zu erreichen.

Im Gegensatz zu den meisten vorhergegangenen Vorträgen, welche die Visibilisierung von Macht durch architektonische Bauten betonten, wies Rebekka von Mallinckrodt (Göttingen) darauf hin, dass frühneuzeitliche Architektur auch bestehende Machtverhältnisse "verschleiern" oder verzerrt darstellen konnte. Sie tat dies anhand einer Darstellung "politischer Einflussmöglichkeiten und architektonischer Repräsentation frühneuzeitlicher Bruderschaften in Venedig und Köln". Schließt man von der architektonischen Repräsentation dieser Bruderschaften auf deren Funktion im politischen Leben der Stadt, so müssten die venezianischen `Scuole Grandi´ eigentlich eine bedeutende Rolle gespielt haben. Tatsächlich aber fanden sich in den venezianischen Bruderschaften gerade die `cittadini´, die von der politischen Mitwirkung ausgeschlossen waren und dort ersatzweise ein karitatives Betätigungsfeld suchten. Die politische Führungsschicht war von der aktiven Mitwirkung in den venezianischen Bruderschaften ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu erscheint die Unsichtbarkeit stadtkölnischer Bruderschaften gerade als eine Bedingung ihrer eminent politischen Funktion. Eine Reihe dieser Bruderschaften vereinigte nämlich ausschließlich die politische Elite, die in den Fraternitäten einen informellen Rahmen zur Netzwerkbildung fand. Bemerkenswert erscheint somit vor allen Dingen das paradoxe Phänomen, dass architektonische Repräsentation in der frühneuzeitlichen Stadt nicht nur der Manifestation und Durchsetzung von Macht dienen, sondern auch eine Ersatzfunktion anstelle tatsächlicher politischer Einflussmöglichkeiten einnehmen konnte, während die informelle Netzwerkbildung in den Bruderschaften Kölns gar nicht auf Öffentlichkeit drang.

Die Schlussdiskussion mit den Organisatoren, Sektionsleitern sowie Mark Häberlein (Bamberg) und Gerhard Sälter (Berlin) warf noch einmal die Frage nach der Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit von "Machträumen" in frühneuzeitlichen Städten auf. Daneben richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von sozialen Konflikten und Netzwerken für die Konstituierung und Aneignung von Räumen.
Während einzelne Referate durchaus schlüssig zeigten, wie Macht vor Ort konkretisiert und Gesellschaft in räumlicher Hinsicht "gebaut" wird, blieb oftmals unterbelichtet, wie Räume Macht hervorbringen. Ungelöst, und somit für weitere Forschungen von nicht zu unterschätzender Bedeutung, blieb also die schärfere Konturierung eines Machtbegriffes in Bezug auf den Raum, der sich auf breiter Basis für die Untersuchung vormoderner Gesellschaften im allgemeinen und frühneuzeitlicher Städte im speziellen operationalisieren lässt.
Eine Veröffentlichung der Tagungsbeiträge in einem Sammelband ist vorgesehen.

Anmerkung:
Eine weitere Veröffentlichung dieses Tagungsberichts findet sich auf der Homepage der AHF (München).

Kontakt

Kontaktadressen der Veranstalter:
Dr. Susanne Rau, Susanne.Rau@mailbox.tu-dresden.de
Christian Hochmuth, M. Sc., Christian.Hochmuth@mailbox.tu.dresden.de